Europäischer Gerichtshof verhandelt über Unternehmensmitbestimmung – BOP plädiert für Einbeziehung von EU-Arbeitnehmern
Januar 2017 – Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat am 24. Januar unter dem Vorsitz des EuGH-Präsidenten Koen Lenaerts über den sog. TUI-Fall (Vorabentscheidungsverfahren C-566/15) verhandelt. Die deutsche Arbeitnehmermitbestimmung im Aufsichtsrat verstößt möglicherweise gegen Europarecht: im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmer dürfen die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat deutscher Gesellschaften nicht mitwählen und auch nicht selbst in den Aufsichtsrat gewählt werden. Die deutschen Gewerkschaften und ihre Interessenvertreter führen eine Medienkampagne gegen den Antragsteller, obwohl dieser eine Europäisierung der Unternehmensmitbestimmung anstrebt.
In der über vierstündigen Verhandlung haben die Europäische Kommission, die EFTA-Überwachungsbehörde, die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, Österreichs, der Niederlande, Frankreichs und Luxemburgs, die deutschen Gewerkschaften sowie die Parteien des Ausgangsverfahrens, Konrad Erzberger (Antragsteller) und der Touristikkonzern TUI AG (Antragsgegnerin) ihre Rechtsauffassungen dargelegt. Danach haben die Verfahrensbeteiligten die Fragen der fünfzehn verhandelnden EuGH-Richter, darunter der Präsident des Europäischen Gerichtshofs Koen Lenaerts, der Vizepräsident Antonio Tizzano und der Berichterstatter Egils Levits, und die Fragen des Generalanwalts Henrik Saugmandsgaard Øe beantwortet.
Dr. Caspar Behme (federführend), Dr. Jochen Brandhoff und Stephan A. Richter von BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER Rechtsanwälte, die Vertreter des Antragstellers, führten aus, dass es in dem Verfahren nicht um die Abschaffung der unternehmerischen Mitbestimmung gehe, sondern um eine Verbreiterung ihrer Legitimationsbasis und damit um die Verbesserung der Corporate Governance mitbestimmter Unternehmen. Wer die Unternehmensmitbestimmung anerkenne oder sogar befürworte, der müsse auch wollen, dass sie funktioniere und dass die mit ihr bezweckten Vorteile tatsächlich eintreten. Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat habe den Zweck, das Wissen und die Erfahrung der Arbeitnehmer zum Wohle des Unternehmens in die Tätigkeit des Aufsichtsrats einfließen zu lassen. Wenn das Unternehmen „ausländische“ Arbeitnehmer habe, d.h. Arbeitnehmer in Tochtergesellschaften und Betrieben in anderen EU-Mitgliedstaaten, dann würde dieser Zweck zwangsläufig verfehlt, wenn das Wissen und die Erfahrung dieser Arbeitnehmer ausgeblendet werden und die Mitbestimmung auf die in Deutschland tätigen Arbeitnehmer beschränkt werden würde. Wer also für Mitbestimmung sei, der müsse folgerichtig auch für die Einbeziehung ausländischer Arbeitnehmer in die Aufsichtsratswahlen sein. Dies sei bei Unternehmen umso wichtiger, die wie TUI deutlich mehr Arbeitnehmer im Ausland als im Inland beschäftigten.
Die deutschen Gewerkschaftsspitzen und ihre Interessenvertreter betreiben eine emotional geführte Medienkampagne gegen den Antragsteller, die Beobachter aus der Wissenschaft als beispiellos einstufen. Der dadurch erzeugte Druck soll erreichen, dass die mit der Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten verbundene Macht und Vergütung weiterhin ihnen vorbehalten bleiben. Sachliche Argumente, warum ausländische Kollegen von der Mitbestimmung ausgeschlossen bleiben sollten, werden jedoch nicht gebracht.
BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER widerlegte in der mündlichen Verhandlung das Argument, dass die Durchführung von Wahlen zum Aufsichtsrat in ausländischen Tochtergesellschaften rechtlich unmöglich sei: Die Europäisierung der Mitbestimmung sei ohne weiteres möglich, wie vor allem die Rechtsvergleichung zeige. Anhand der Lage in Frankreich, Dänemark und Norwegen belegte die Wirtschaftskanzlei, dass eine Einbeziehung der ausländischen Arbeitnehmer in die Aufsichtsratswahlen nicht nur rechtlich möglich und geboten, sondern auch praktisch durchführbar sei: Dort sind ausländische Arbeitnehmer im Aufsichtsrat repräsentiert, ohne dass dadurch das sogenannte „Territorialitätsprinzip“ verletzt sei.
Die Verfahrensgegner machten darüber hinaus geltend, aus dem Wortlaut seines Antrags ergebe sich, dass der Antragsteller die Mitbestimmung tatsächlich schwächen wolle. Hintergrund ist, dass sein Antrag darauf gerichtet ist, dass das deutsche Mitbestimmungsgesetz nicht mehr angewendet werden dürfe. Überzeugend ist dieses Argument jedoch nicht, da rechtstechnische Anforderungen den Wortlaut des Antrags bestimmen. Ein Antrag, der unmittelbar auf die Einbeziehung der europäischen Arbeitnehmer gerichtet gewesen wäre, wäre in einem Statusverfahren nach § 98 Aktiengesetz unzulässig gewesen.
Die Argumentation von BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER wurde von der EFTA-Überwachungsbehörde und der Europäischen Kommission ganz bzw. teilweise geteilt und von den einzelnen Mitgliedstaaten und den Gewerkschaften ganz oder teilweise abgelehnt. Die Mehrheit der Wissenschaftler und Juristen, die sich im Vorfeld des Verfahrens zum TUI-Verfahren geäußert hatten, waren der Argumentation des Antragstellers gefolgt und hatten sich für eine Einbeziehung der EU-Arbeitnehmer in die Unternehmensmitbestimmung ausgesprochen.
Anders als es in den Darstellungen der gewerkschaftsnahen Presse suggeriert wird, würde sich in der Praxis erstmal nichts Wesentliches verändern, sollte der Gerichtshof dem Antrag stattgeben und entscheiden, dass der Aufsichtsrat einer Gesellschaft nicht mehr nach Maßgabe des Mitbestimmungsgesetzes zusammenzusetzen sei: Weder wäre die Wahl amtierender Aufsichtsratsmitglieder (auch nicht derjenigen der Arbeitnehmer) noch die vom Aufsichtsrat getroffenen Beschlüsse unwirksam. Das Amt der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder würde erst mit Ablauf der in §§ 98 Abs. 4 Satz 2, 97 Abs. 2 AktG genannten Frist von sechs Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung des Ausgangsgerichts (also des Kammergerichts) oder, im Falle einer Rechtsbeschwerde, sechs Monate nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs enden. Die Feststellung der Unanwendbarkeit des MitbestG wäre außerdem auf die TUI AG begrenzt. Auf andere Gesellschaften, deren Aufsichtsrat nach dem MitbestG zusammengesetzt ist, hätte dies erstmal keinerlei Auswirkungen. Die dortigen Aufsichtsräte blieben erst einmal wie bisher bestehen und zusammengesetzt, da nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 96 Abs. 2 AktG die Statusänderung eines Aufsichtsrats nur durch ein Statusverfahren bewirkt werden kann. Erst wenn bei anderen Gesellschaften ebenfalls ein Statusverfahren eingeleitet und darin die Unanwendbarkeit des MitbestG festgestellt werden würde, wäre auch dort der Aufsichtsrat (entsprechend des im dortigen Statusverfahren getroffenen Beschlusses) umzubilden.
Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt eine Vorlage des Kammergerichts Berlin an den EuGH zugrunde, in dem das Gericht es als „vorstellbar“ ansah, dass „Arbeitnehmer durch das deutsche Mitbestimmungsrecht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert werden“ (Az. 14 W 89/15). Das Kammergericht hat über ein Statusverfahren nach § 98 Aktiengesetz zu entscheiden, in dem BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER die Rechtsauffassung des Mandanten und Antragstellers Konrad Erzberger vertritt, dass der Aufsichtsrat der TUI AG falsch besetzt sei. Im Zentrum der beiden Verfahren steht die Frage, inwiefern die deutschen Mitbestimmungsregeln, wonach bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nur im Inland tätige Arbeitnehmer aktiv und passiv wahlberechtigt sind, gegen das europarechtliche Diskriminierungsverbot und die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 18 AEUV verstoßen.
Mit den Schlussanträgen des Generalanwalts ist am 4. Mai zu rechnen.
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Dr. Caspar Behme (Of Counsel) und Dr. Jochen Brandhoff (Partner), BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER Rechtsanwälte mbB, Kaiserstraße 53, 60329 Frankfurt a. M., +49 69 34 879 20-0, c.behme(@)bop.legal und j.brandhoff(@)bop.legal.
BRANDHOFF OBERMÜLLER PARTNER Rechtsanwälte ist eine international tätige Wirtschaftskanzlei aus Frankfurt am Main mit den Beratungsschwerpunkten Unternehmenskäufe und -zusammenschlüsse (Mergers & Acquisitions), Insolvenzen und Restrukturierungen, Steuerrecht, Unternehmensrecht und Erneuerbare Energien. Die Beratung im Gesellschaftsrecht umfasst regelmäßig Fragen der Corporate Governance und der Corporate Litigation. Die Kanzlei zeichnet sich durch ihr besonderes wirtschaftliches Know-how aus. Die Anwälte waren vor ihrem Kanzleieintritt als Syndizi, General Counsel oder Geschäftsführer in Unternehmen und Banken tätig.