Eröffnungsvortrag “Künstliche Intelligenz in der Rechtsberatung” von Dr. Jochen Brandhoff
BOP Kanzleidialoge, 1. Dezember 2016
Auszug im Wortlaut: „Wenn Rechtsanwälte und Steuerberater Ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, müssen sie jetzt tätig werden. Der Innovationsdruck – schon der Begriff war in unseren Branchen lange verpönt – war noch nie so groß wie heute. Mir gefällt das – Ich finde den Anwaltsmarkt, wie er ist, wenig effizient und transparent.
Die Digitalisierung des Rechts
besteht aus vielen kleinen Digitalisierungen: Da gibt es die digitale Transformation des Arbeitsplatzes, zum Beispiel indem unsere Arbeit auf immer mehr Endgeräten synchronisiert wird und ständig bei uns ist: Smart Data ganz persönlich. Ich lese gerade ein Buch über die Blockchain und das ist auf meinem Computer im Büro und auf dem zu Hause, auf meinem Tablet, auf meinem Reader, auf meinem Handy und IPod. Da ist die Digitalisierung schon weit. Die Digitalisierung des Rechts besteht auch aus der Transformation der Akquise. In diesem Bereich ist edicted tätig. In einigen Jahren werden beachtliche Umsätze über Portale, Marktplätze, Internetplattformen und E-Shops abgewickelt. Da sind wir heute noch nicht so weit, aber es hat längst begonnen.
Noch ganz am Anfang, aber langfristig mit den größten Auswirkungen, ist die digitale Transformation der Rechtsanwendung selbst. In diesem Bereich ist rightmart tätig. Da geht es ans Eingemachte – um die automatisierte Rechtsfindung durch Algorithmen. Treiber sind Künstliche Intelligenz und weiterentwickelte künstliche neuronale Netze. Die Technologie gibt es schon heute, aber noch nicht in Anwendungen, die wir Anwälte und Steuerberater nutzen können. Aber auch die schon jetzt für Rechtssuchende verfügbaren Softwareanwendungen erbringen in eng begrenzten Bereichen Rechtsdienstleistungen schneller und wesentlich preiswerter als ihre menschliche Konkurrenz. Beispiele sind Widersprüchen gegen Hartz-4-Bescheide und gegen Bußgeldbescheide oder bestimmte Vertragsprüfungen, etwa im Bereich Gewerblicher Mietverträge. Dahinter stecken sogenannte Expertensysteme, also Programme, die Wenn-Dann-Regeln anwenden – so wie es auch der Jurist macht.
In zehn Jahren werden künstliche neuronale Netze schon zahlreiche komplexe Rechtsfragen lösen, um die sich heute Wirtschaftskanzleien kümmern. Es wird aber noch keinen Supercomputer geben, der jede Rechtsfrage ad hoc beantwortet. Davon sind wir noch 20 bis 50 Jahre oder mehr entfernt – über den Zeitpunkt sind sich die Experten uneins, nicht aber darüber, dass er kommt. Das ist unaufhaltsam. Man gibt dann den Sachverhalt formlos rein und bekommt das rechtliche Ergebnis raus.
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Künstliche neuronale Netze
sog. KNN, funktionieren – stark vereinfacht – so: Computer arbeiten wie noch vor 80 Jahren, als sie entstanden sind, mit binären Signalen, den beiden Zahlen 0 und 1. Wörter, wie sie für die Rechtsanwendung entscheidend sind, können diese Dinger nicht. Darum muss jedes Wort in eine Zahl umgewandelt werden, die aus einer langen Reihe von 0 und 1 besteht.
Dann wird das Netzwerk mit immer mehr Texten gefüttert – Millionen. Und es liest und liest und wertet diese aus, indem es feststellt, wie oft welches Wort in der Nähe eines anderen Wortes vorkommt und welche weiteren Wörter dann in der Regel auch noch auftauchen. Die Programme lernen so die Beziehungen der Begriffe zueinander. Was bedeutet das ganz konkret? Das Programm stellt durch ständiges Lesen fest, dass Begriffe wie Anwalt, Gesetz und Rechtsanwendung häufig nah beieinander vorkommen und darum verwandt sind. Es erkennt außerdem aus der Entfernung der Wörter zueinander und zu anderen Begriffen, dass sich „eng“ zu „enger“ so verhält wie „hoch“ zu „höher“.
Oder es erkennt – dadurch, dass er Millionenfach die Entfernung der Zahlenkolonnen, also der Wörter, zueinander misst -, dass die Ziffern für [Namen von drei anwesenden Anwälten] im Schnitt gleich weit entfernt vom Wort „Intelligenz“ und gleichzeitig vom Wort „Rechtsanwalt“ stehen. Damit kann das KNN feststellen, dass Rechtsanwälte intelligent sind – worauf viele Menschen ja gar nicht kommen würden! Da sind wir schon fast bei der juristischen Subsumtion. Und es geht weiter: Das Programm rechnet weiter und weiter die Entfernungen von Milliarden von Wörtern zueinander aus und lernt daraus, dass der Main im selben Verhältnis zum Rhein steht wie die Isar zur Donau, nämlich dass der jeweils erste Fluss in den zweiten fließt. Und noch mehr. Es lernt die grammatische Funktion von „der“ „die“ „das“ einfach dadurch, dass es in Millionen von Textseiten feststellt, dass diese Wörter, die wir bestimmte Artikel nennen, immer vor bestimmten anderen Wörtern stehen, die wir Substantive nennen. Es merkt aber auch, dass manchmal vor Substantiven „des“ „der“ „des“ stehen – also was wir Genitive nennen, und dass die Wortendungen dann anders sind. So lernt es den Unterschied zwischen Nominativ und Genitiv – man muss ihm also keine grammatikalischen Regeln erklären, wie das bei den heutigen regelbasierten Systemen der Fall ist.
Werden KNN mit den richtigen Algorithmen kombiniert, dann bekommt man selbstlernende Computersoftware, die auch juristische Aufgaben ohne Vorlaufzeit lösen kann.
Warum heißen KNN eigentlich so? Weil sie dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind, natürlich nur im Modell – das Gehirn ist viel zu komplex, um es heute präzise nachzubauen. Mehr oder weniger sind bei KNN viele Prozessoren in mehreren Schichten miteinander verbunden, so wie jedes Neuron in unserem Hirn über Synapsen mit weit über 1.000 anderer Neuronen verbunden ist – die 1. „Schicht“ – und diese wieder mit anderen – die 2. Schicht -. Und wie im Gehirn nimmt die Geschwindigkeit einer Verbindung zu, je öfter sie benutzt wird.
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Die Entwicklung der Supercomputer
die ich skizziert habe, kommt ohne jeden Zweifel. In den kommenden 25 Jahren wird sich die Leistung von Mikrochips noch einmal vertausendfachen. Vielleicht haben Sie schon gehört, dass das berühmte Mooresche Gesetz in gut fünf Jahren an seine Grenzen kommen soll. Es besagt, dass sich die Zahl der Transistoren, die auf einen Mikrochip passen, alle 18 Monate verdoppelt. In fünf bis zehn Jahren ist aber eine physikalische Grenze erreicht, da die Schaltelemente dann die Größe weniger Atome bzw. Nanometer erreicht haben. In den Laboratorien warten aber schon neue Technologien, mit denen die Rechenleistung von Chips weiter exponentiell wachsen wird. Man kann die Transistoren etwa übereinanderstapeln, statt sie auf flachen Chips anzuordnen. Irgendwann könnten auch Neurochips marktreif werden. (…).
Es ist daher mathematisch zwingend, dass es mal Supercomputer geben wird, die besser Recht können als wir. Dann wird die komplette rechtliche Wertschöpfungskette durchgängig digitalisiert sein.“